Von Stroh im Haar und Kuh-Sabber
Bis es dunkel wurde, draußen sein, die Nase in den Matsch graben, auf Bäume klettern oder stundenlang im Stall im Stroh spielen, das sind Kindheitserinnerungen, von denen meine Generation (30+) noch erzählt.
Vor allem die Sommerferien waren der Startschuss für das Freiheitsgefühl, das uns Heranwachsende schweben ließ. Und unsere Eltern ließen uns gewähren…
Für Schulen bieten wir mit dem Projekt TiNa (Tier- und Naturschutz im Unterricht) auch in den Ferien Ausflüge an. Da viele Eltern berufstätig sind und kein Arbeitgeber einen 6-wöchigen Urlaub genehmigt, sind es also die Schulen, die jedes Jahr wieder nach Ausflugszielen und Ferienprogrammen suchen. Ein paar Schulen entdeckten unsere Ausflugsangebote zu unseren Partnerhöfen: ein Pferdeschutzhof in Düsseldorf, ein Kuh-Gnadenhof in Wegberg. Da wir ein Bildungsangebot sind, wird Wissen natürlich auch in den Ferien vermittelt, allerdings sehr spielerisch und mit ganz viel Spaß. Gestern war einer dieser Ausflugstage. Eine unserer „Stammkunden“-Schulen besuchte uns bei Erika&friends, dem Gnadenhof in Wegberg. Unser „Programm“ war Erikas Heusuche, bei der die kleinen Bauernhofdetektive nach Kuh Erikas gestohlenem Heu fahnden sollten. In einer kleinen Rallye galt es, unterschiedliche Rätsel zu lösen, den Hof kennenzulernen und im Sand nach Hinweisen zu graben. Als das Heu schließlich an der großen Kuhwiese, ganz zufällig neben großen Schatzkisten mit allerlei Geschenken, gefunden wurde, durften die Kinder die 50 neugierigen Kühe füttern. Eine kollektive Zurückhaltung herrschte und oft fielen die Worte „Iihhhh, die sabbern ja…“ Viele Kinder wichen zurück, sobald der große Kuhkopf der kleinen Hand mit der Möhre näher kam. Für die meisten war es das erste Mal mit den Tieren, die uns Milch liefern. Nach einer Mittagspause in der Scheune, bei der uns nistende Schwalbenfamilien Gesellschaft leisteten, konnten die Kinder an der Kuh-Station mehr über Milch lernen. Altersgerecht vermittelten wir, wo die Milch her kommt, worin sie überall enthalten ist, wie die meisten Milchkühe leben müssen und wie wir ihnen helfen können. Neben „Wir können ihnen leckeres Futter geben“ und „Wir können ihren Stall sauber machen, dann freuen sie sich!“ fielen auch Sätze wie „Wir können solchen Gnadenhöfen mit Geld oder Futter helfen“ und „Wie wärs, wenn wir einfach weniger Milch kaufen würden?“. Mit verbundenen Augen konnten die Kinder dann Alternativen wie Hafermilch oder vegane Schokolade probieren und waren total begeistert, wie gut vermeintlicher Verzicht schmecken kann.
„Und was machen wir jetzt?“ hieß es dann.
Dann gaben wir den Startschuss für ein bisschen Freiheitsgefühl. Heutzutage müssen die Kinder so viel leisten. Nach der Schule, werden Hausaufgaben gemacht, im Sportverein trainiert, Gesangs- oder Klavierunterricht genommen und nach dem Abendessen wird geschlafen. Das gilt natürlich nicht pauschal für alle Familien, es ist aber ein unverkennbarer Trend, von dem uns auch die Betreuer erzählen.
„Jetzt dürft ihr frei sein, spielen und die Tiere füttern, wenn ihr wollt.“ Große Kinderaugen sahen einem entgegen und völlig verblüfft liefen die ersten Kinder los. Als wir dann noch sagten, dass sie sogar auf den alten Mähdrescher dürfen, und das ungläubige „wirklich??“ bejahten, wich der Zweifel dem puren Glück. Alles was dann passierte, war wie in einem Kinderbuch. Zwischen gackernden Hühnern, die frei umher liefen, fuhren stolze Kinder mit Schubkarren und Autos beladen mit Leckerlies und Stroh. Lachend spielten sie im Sand, fanden brütende Hühner, fütterten die Kaninchen und zählten die Katzen. Die Jungs auf dem Mähdrescher waren stolz wie Oskar, die Mädels bei den Pferden hatten alle schon ihr Lieblingspferd. Jetzt waren sie tatsächlich Bauernhofdetektive.
Am schönsten war es, die Kinder zu beobachten, als sie die Kühe fütterten. Jetzt sah es nämlich anders aus: Ausnahmslos hingen sie den Tieren regelrecht am Hals, ließen sich abschlecken, kraulten sie am Kopf und besonders den Bullen Gabriel erklärten sie zu ihrem neuen besten Freund. Sie gingen auf Entdeckertour und das sah man ihnen an: Stroh in den Haaren, sandige Hände, Kuhsabber auf dem Arm, die Möhre in der Hand und ein breites Grinsen im Gesicht. Ein bisschen schienen sie zu schweben…